Knallharter Job bei Eis und Schnee

Knallharter Job bei Eis und Schnee

Eine Nacht als Zeitungsbote

OESTRICH, CASTROP-RAUXEL, NETTE. Sie arbeiten, wenn alle schlafen. Im Schnee-Chaos mit Minusgraden haben sie es besonders schwer. Das spüren auch Kunden. Unser Redakteur half als Zeitungsbote aus. Eine Nacht-Reportage. Von Tobias Weckenbrock, Chefredakteur Lokalredaktion Castrop-Rauxel.

Der Hilferuf kommt am Freitag aus der Logistik des Verlags-hauses: Wer kann uns bei der Zustellung unterstützen? Wir haben zu viele Ausfälle. Eine Rund-mail an Mitarbeiter, die sich zu Beginn der Corona-Pandemie für den absoluten Notfall bereit erklärt hatten, beim Ausbringen der Zeitungen einzuspringen. Der Notfall ließ zum Glück lange auf sich warten. Bis zum heftigen Schnee im Februar 2021. Für mich war die Sache klar: Wenn ich dabei helfen kann, dass unsere Kunden ihre Zeitungen am Samstag bekommen mit dem, was meine Kollegen und ich geschrieben haben, dann springe ich ein. Dann mache ich nach der Tagschicht in der Redaktion auch noch die Nachtschicht.

Der Logistik-Chef freute sich, der Organisator hinter den Hunderten von Zustellern wies mir nur zwei Stunden nach meiner Zusage den Bezirk Dort-mund-Oestrich zu. Der ist nah zu meinem Wohnort Castrop-Rauxel, das passte mir. Auch wenn ich Oestrich praktisch nur vom Baumarkt, manchmal vom Einkauf im Discounter und beim Bäcker kenne.

Laufliste ist sechs Seiten lang

So schaute ich mir die Karte mit den Haushalten nach Feierabend schon mal an, die er mir im Anhang der E-Mail schickte. Und die sechsseitige Laufliste, auf der alle Kunden nach einer optimierten Lauf-Reihenfolge verzeichnet sind. Die druckte ich mir aus, die Karte reichte mir im Smartphone. Gegen 22.15 Uhr ging es ins Bett. Ab 2.30 Uhr sollte ich an der Verteilstelle meine Zeitungsstapel finden: 110 Ruhr Nachrichten, zwei Dutzend Ausgaben der WAZ und der Westfälischen Rundschau und eine FAZ. Aber erst mal schlafen. Der Wecker klingelt um 3 Uhr. Dann geht es in die warmen Ski-Klamotten. Taschenlampe, Kopfhörer für ein wenig Podcast-Unterhaltung, Handschuhe, ein paar Cracker, eine Banane und ein bisschen Wasser für etwaige Notfälle. Und dann den alten Fahrradanhänger in den Kofferraum. Aber halt: erst mal Scheiben kratzen. Na wunderbar!

3.15 Uhr an der Ablagestelle: -10,5 Grad

Um 3.15 Uhr erreiche ich den Parkplatz, das Thermometer zeigt 10,5 Grad an. Minus. Ich finde die Zeitungen recht schnell, packe mir meinen Stapel einigermaßen sortiert in den Anhänger, schaue noch mal auf die Liste, wo es für mich los geht. Es liegt viel Schnee, einige Gehsteige sind frei. Die ersten Adressen finde ich gleich: eine Reihenhaussiedlung, das ist noch recht ein-fach. Ein guter Auftakt! Ich bin zufrieden. Es fühlt sich gut an, den Leuten, die in den vergangenen Tagen schon unzuverlässig ihre Zeitungen bekommen haben, einen guten Start in den Tag, „Das Beste am Guten Morgen“, in den Briefkasten oder die Zeitungsrolle zu schieben.

Aber dann geht es schon los: Bitte wo ist denn nun dieses Haus? Ich werde in dieser Nacht noch Straßen-schilder verfluchen, unter denen nicht die Hausnummern für den jeweiligen Ab-schnitt angegeben sind. Noch mehr aber werde ich die Hausnummern an den Häusern selbst verfluchen: Mir war nie so richtig bewusst, dass es ganz großen Sinn ergibt, große Haus-nummern in klarer Schrift an seine Hauswand zu nieten und Bewegungsmelder an der Tür anzubringen. Für Zeitungszusteller ist das elementar. Nach zwei Stunden frage ich mich: Stimmte die Angabe des Logistik-Chefs, dass man nach zweieinhalb Stunden fertig sei? Ich habe nach der einen Adresse offenbar zu lange gesucht. Denn gehörte das eine Hochhaus noch zur Straße Stürzelbreite, steht das nächste an der Straße Hobestadt, ohne dass man es erkennt.

Um 6.10 Uhr steige ich ins Auto. Ich muss wieder raus: noch mal Eiskratzen. Dann lege ich die sechs verbliebenen Zeitungen auf den Beifahrer-sitz, staune über die Temperaturanzeige (-13 Grad…) und fahre die restlichen drei Adressen, die im Gewerbegebiet etwas weiter auseinander liegen, mit dem Auto an. Ich muss mich irgendwie selbst orientieren: Mein Handy-Akku hat in der Kälte die Grätsche gemacht. Eine Umgebungskarte habe ich also nicht mehr zur Verfügung.

Am Ende muss ich mir eingestehen, dass ich drei Adressen einfach nicht gefunden habe. Ohne Karte keine Chance, wenn neben der Hausnummer 25 nicht die gesuchte Nummer 23 ist, sondern die 78 und es jenseits der Kreuzung mit 15 weiter geht. Ich gebe um 6.40 Uhr auf und gestehe das später dem Orga-Chef der Zusteller in einer kurzen Mail. Er antwortet: „Danke für das Engagement! Das war auch kein ganz einfacher Bezirk…“ Ich bin müde, mir ist kalt. Ich fahre heim, mache den Kamin an und trinke einen Kaffee. Gleich werden die Kinder wach… Wochenende.

Mir ist klar geworden: Dieser Job ist genauso wichtig wie meiner auf dem Schreibtischstuhl im heimischen Arbeitszimmer mit ein paar Terminen draußen bei den Leuten. Tagsüber. Und ich muss ehrlich sein: Ich möchte nicht tauschen. Aber wenn die Not wieder sehr groß ist: Den Bezirk E351 der Zustellerin aus Lünen, die gerade erkrankt ausfällt, den kenne ich nun schon ein ganzes Stück besser. Beim nächsten Mal bräuchte ich nicht mehr 3:40 Stunden, sondern käme wohl mit 3 Stunden aus. Nur diese Doppelschichten… das packe ich auf Dau-er wohl nicht. Auch nicht im Hochsommer.

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